Die simpelste Form der Telemedizin sind Telefonate, etwa Beratungen durch Ärzt*innen. Was bringen ergänzende Video-Beratungen? Die Frage steht im Mittelpunkt einer aktuellen Studie aus Hongkong. Die Autor*innen wollten herausfinden, wie sich die beiden telemedizinischen Formen speziell in der Phase des social distancing auswirken. Dafür befragten sie diejenigen, die die soziale Isolation infolge der Corona-Beschränkungen besonders hart trifft: Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen.
„Ältere Menschen, und insbesondere diejenigen mit kognitiven Beeinträchtigungen, die zuhause betreut werden, sind besonders anfällig für die durch social distancing verursachten Störungen“, betonen Frank Ho-yin Lai und sein Team. Verstärkte Einsamkeit sowie Störungen der täglichen Routine, einschließlich des Zugangs zu sozialer Unterstützung im täglichen Umfeld, seien zu erwarten. Hier bietet die Telemedizin eine Möglichkeit des regelmäßigen Kontakts. Die Forscher*innen wollten nun herausfinden, ob sich Video-Telemedizin – ergänzend zu regelmäßigen Telefonaten – in Zeiten des social distancing positiv auswirkt. Ihre Studie führten sie zwischen März und Mai 2020 in Hongkong durch.
Telefonate für die eine Gruppe, zusätzliche Videokonferenzen für die andere
Dazu befragten sie 60 Frauen und Männer über einen Zeitraum von vier Wochen: Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen und ihre pflegenden Ehepartner. Die Teilnehmenden waren zwischen 65 und 80 Jahren alt und lebten zuhause. Die Forscher*innen teilten sie in zwei Gruppen ein. Für beide Gruppen fand jede Woche eine telefonische Beratung zu Themen statt, die für die Gesundheit älterer Menschen relevant sind, darunter soziale und psychische Bedürfnisse sowie körperliches Wohlbefinden. Die pflegenden Angehörigen in der ersten Gruppe erhielten zusätzlich wöchentliche Telefonanrufe über eine Dauer von 30 Minuten.
Für die zweite Gruppe gab es – ergänzend – wöchentliche Gesundheits-Dienstleistungen mittels der Video-Apps Zoom, WhatsApp oder FaceTime. Diese Anwendungen wurden allesamt im Vorfeld auf den Geräten der Angehörigen installiert. Die Personen mit geistigen Beeinträchtigungen waren während der Video-Konferenzen stets anwesend, so dass die Gesundheits-Dienstleister sich direkt mit ihnen austauschen konnten. Auch diese Beratungen dauerten jeweils 30 Minuten.
Videokonferenzen: mehr Resilienz, bessere Lebensqualität
Die Forscher*innen befragten die Teilnehmenden am Anfang und Ende der vierwöchigen Untersuchung zu verschiedenen Aspekten, darunter Lebensqualität und Pflegebelastung, und erhoben auch den geistigen Zustand. Die Ergebnisse zeigten deutliche positive Auswirkungen durch die zusätzlichen Video-Sitzungen. So blieben etwa die geistigen Fähigkeiten der Teilnehmenden in der Video-Gruppe relativ stabil, während sie sich in der reinen Telefon-Gruppe verschlechterten. Zudem ging die Video-Telemedizin mit einer verbesserten Lebensqualität einher. Bei den pflegenden Angehörigen wirkte sie sich positiv auf das Wohlbefinden und die allgemeine Funktionsfähigkeit aus. Im Gegensatz dazu war in der Telefon-Gruppe eine deutliche Verschlechterung festzustellen.
Weitere Forschung auch außerhalb von Pandemie-Zeiten notwendig
Zwar nennen die Autor*innen auch einige Schwächen der Studie: So könnten die positiven Auswirkungen für die Video-Gruppe in erster Linie schlicht auf die zusätzliche zeitliche Unterstützung zurückzuführen sein. Hier seien weitere, möglichst vergleichbare Untersuchungen notwendig. Angesichts der insgesamt so deutlichen positiven Ergebnisse empfehlen die Forscher*innen dennoch, die Videokonferenz als modus operandi der Telemedizin nicht nur unter den ungewöhnlichen Umständen von COVID-19, sondern auch außerhalb des pandemiebedingten social distancing zu untersuchen.
Hier finden Sie die Studie:
The Protective Impact of Telemedicine on Persons With Dementia and Their Caregivers During the COVID-19 Pandemic (Aug 2020)