Sexuelle Minderheiten erleben im Laufe ihres Lebens häufiger Stigmatisierung und Diskriminierung. Dies kann gesundheitliche Probleme auslösen, zum Beispiel Depressionen, was wiederum ein Demenz-Risikofaktor ist. Vor diesem Hintergrund wollten US-Forscher herausfinden, ob homosexuelle Paare ein höheres Risiko für leichte geistige Beeinträchtigungen und Demenz haben als heterosexuelle.

Laut Jaime Perales-Puchalt von der Universität Kansas und seinen Kolleg*innen gibt es bislang kaum Forschung zum Thema. Lediglich zwei Studien hätten das Risiko von Demenz und leichten geistigen Beeinträchtigungen (MCI) bei sexuellen Minderheiten untersucht. Eine ergab, dass von den befragten über 50-jährigen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT) 77 Prozent über leichte geistige Beeinträchtigungen berichteten. 38 Prozent gaben mäßige geistige Beeinträchtigungen an, 10 Prozent extreme. In der zweiten Studie berichteten etwa 25 Prozent der älteren LGBT-Erwachsenen über einen geistigen Abbau.

Minderheitenstressmodell: dauerhafter Stress durch negative Erfahrungen

Regenbogen-Flahne

Die Wissenschaftler*innen um Perales-Purchalt wollten daher das Demenzrisiko von älteren Menschen aus homosexuellen Beziehungen genauer untersuchen. Ihre Annahme war, dass diese ein höheres Risiko haben als ihre heterosexuellen Altersgenossen. Dies leiteten sie aus dem “Minderheitenstressmodell” nach Ilan Meyer ab. Danach erfahren Angehörige sexueller Minderheiten durch negative Erfahrungen häufiger dauerhaften Stress. Dies kann zu Gesundheitsproblemen wie Depressionen führen, die wiederum Risikofaktoren für Demenz sind.

Für ihre Studie werteten die Forscher*innen die Daten von 5.057 Frauen und Männern aus. 307 von ihnen lebten in gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Sie waren zum Studienbeginn 55 Jahre oder älter und verfügten durchschnittlich über ca. 16 Schul- bzw. Ausbildungsjahre. Rund die Hälfte waren Frauen.

Unterschiede zwischen homosexuellen und heterosexuellen Teilnehmemden

Die Forscher*innen stellten eine Reihe von Unterschieden zwischen den homosexuellen und heterosexuellen Teilnehmenden fest: So waren Männer aus heterosexuellen Beziehungen häufiger an Diabetes erkrankt als Männer aus homosexuellen Beziehungen. Frauen aus gleichgeschlechtlichen Beziehungen lebten häufiger allein und waren stärker von Herz-Kreislauf-Erkrankungen betroffen. Zudem kam lebenslanges Rauchen und der Missbrauchs anderer Substanzen bei ihnen häufiger vor als bei Frauen aus heterosexuellen Beziehungen. Zum Studienbeginn wiesen die Teilnehmenden keine geistigen Beeinträchtigungen auf. Bei 1.032 von ihnen wurden im Verlauf der Studie leichte geistige Beeinträchtigungen diagnostiziert, bei 306 eine Demenz.

Kein höheres Demenzrisiko von Menschen in homosexuellen Beziehungen

Entgegen ihrer Annahme stellten die Autor*innen fest, dass Menschen aus gleichgeschlechtlichen Beziehungen kein höheres Risiko für leichte geistige Beeinträchtigungen oder Demenz haben als ihre heterosexuellen Altersgenossen. Eine mögliche Erklärung sei, dass “Minderheitenstress” nicht mit diesen Erkrankungen in Zusammenhang stünde. Allerdings seien Diskriminierung und Depression mit einem erhöhten Demenzrisiko bei anderen Minderheiten verbunden.

Zwei Männer halten Händchen, von hinten.

Zudem könne eine Erklärung in der ausgewählten Stichprobe liegen. Denn es sei zwar wahrscheinlich, dass ältere Angehörige sexueller Minderheiten höhere Raten von Demenz-Risikofaktoren aufwiesen als heterosexuelle Altersgenossen, zum Beispiel Depressionen, Bluthochdruck und Diabetes. Bei den homosexuellen Teilnehmenden war die Wahrscheinlichkeit für Depressionen und Bluthochdruck jedoch im Vergleich nicht höher. Das Risiko, an Diabetes zu erkranken, war bei ihnen sogar geringer. Zudem umfasste die Stichprobe nur Personen in Beziehungen, was den Autor*innen zufolge ebenfalls erklären könnte, warum es keinen Unterschied beim Demenzrisiko gibt: Das Leben in einer Beziehung schütze die Personen möglicherweise vor Einsamkeit, die ein Demenz-Risikofaktor sei. Ein weiterer möglicherweise stärkender Faktor sei das Bildungsniveau, das bei den Teilnehmenden besonders hoch sei und das ebenfalls vor Demenz schütze.  

Einfluss von stärkenden Faktoren weiter erforschen

Obwohl die Studie keinen Unterschied im Demenzrisiko zeigte, stellt sie nach Ansicht der Forscher*innen den ersten Schritt zum Verständnis bei diesem Thema dar. Sie empfehlen, die Rolle von stärkenden Faktoren (“Resilienzfaktoren”) bei sexuellen Minderheiten zu untersuchen, darunter Bildung, Zugang zum Gesundheitswesen und soziale Unterstützung.

Die vollständige Studie finden Sie hier:
Risk of dementia and mild cognitive impairment among older adults in same-sex relationships (Juni 2019)