„… und wo ist jetzt hier die Toilette?“ – diese Frage hat sich schon jeder von uns gestellt, vor allem wenn es darum geht, sich in großen und komplexen Gebäuden zu orientieren. Gerade für ältere Menschen und Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ist die Sicherheit in der räumlichen Orientierung wichtig, um die Selbstbestimmung zu fördern. Unser Webinar befasste sich daher mit der Signaletik: Wenn Bild, Farbe und Schrift gut aufeinander abgestimmt sind, die Beleuchtung und Merkposten richtig positioniert sind und Blickbezüge bestehen, kann Verirren verhindert werden.
Frau Dr. Birgit Dietz zeigte uns in ihrem dritten Beitrag auf, wie die Orientierung in komplexen Gebäuden erleichtert werden kann und gab anhand dessen auch praktische Tipps, wie pflegende Angehörige durch einfache Kniffe die Orientierung von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in ihrem Zuhause stärken können. Dies gibt nicht nur Selbstbestimmung und Sicherheit, sondern erleichtert auch den Alltag.
Dr. Birgit Dietz ist Architektin und Leiterin des Bayerischen Instituts für alters- und demenzsensible Architektur in Bamberg. Sie gab uns bereits im Rahmen von zwei Webinaren Ende 2020 einen Einblick in ihr Fachgebiet. Der Beitrag „Planen für alle Sinne“ befasste sich mit alterssensibler Architektur, der Beitrag „Unterstützende Gestaltung“ nahm die demenzsensible Architektur in den Fokus. In diesem Webinar wird die Reihe nun durch einen Beitrag zur Orientierung & Signaletik für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen komplettiert.
Fragen der Teilnehmer*innen und Antworten von Dr. Birgit Dietz:
Das Schild an der Türe ist ja erst zu erkennen, wenn man bereits sehr nah am Ziel ist, doch was bremst die Wegfindung bis dorthin? Wir haben gute Erfahrungen mit dem Leiten durch Licht gemacht, denn Menschen gehen dorthin, wo es heller ist.
Vielleicht fehlen Haltegriffe bzw. ein Handlauf oder es stören Schwellen, Teppiche, Schatten o.ä. auf dem Weg. Und dann muss das Schild natürlich gut erkennbar auf Augenhöhe angebracht sein, der Türgriff sich absetzen, innen der Lichtschalter zu finden sein etc. – vieles muss zusammenspielen, damit diese Aufgaben für uns weiterhin zu bewältigen sind.
(Anmerkung des Webinar-Teams: Weitere Informationen dazu finden Sie in den ersten beiden Webinaren mit Frau Dr. Dietz, die weiter unten auf dieser Webseite verlinkt sind,)
Wir nutzen Musik bislang nur zur Tagesstrukturierung. So wird beispielsweise in einem Pflegeheim ein Walzer eingespielt, sobald das Mittagessen fertig ist, und alle wissen dann, dass sie nun in den Speiseraum kommen sollen bzw. gleich abgeholt werden.
Das Erkennen eines Raumes anhand der jeweiligen Musik könnte ich mir im Wohnraum vorstellen – allerdings eher in dem Sinne, dass Musik Aufmerksamkeit erregt und wenn sie einem gefällt zum Kommen einlädt.
Wir wollen eine Lebenswelt für die Erkrankten anbieten, die dem Bewältigungsvermögen angepasst ist. Intervalle von Ruhe und Aktivität sollten sich abwechseln. Eine „Dauerberieselung“ mit Musik wäre hier sicher nicht wünschenswert.
Hier gibt es ein paar generelle Grundlagen, die beachtet werden sollten. Am besten erfolgt die Beleuchtung der Decke durch indirektes Licht. Eine Leuchte direkt über dem Bett sollte vermieden werden. Außerdem empfiehlt es sich, die Raumkontur sichtbar zu gestalten, indem beispielsweise die Wandfarbe etwas dunkler als die Deckenfarbe gewählt wird oder eine Verzierung, eine Hohlkehle, ein Stuckrand oder ähnliches den Übergang der Wand zur Zimmerdecke markiert.
Bei der Gestaltung der Decke sollte beachtet werden, dass diese veränderbar ist und eine ruhige Oberfläche hat. Bei manchen Menschen mit Demenz kann eine individuelle Gestaltung der Decke beruhigend wirken, wie etwa mit Tüchern oder Lichtprojektionen. Bei anderen kann dies aber auch Angst auslösen, da es ungewöhnlich ist, wenn sich an der Decke etwas befindet. Es muss also sorgfältig beobachtet werden, wie die Reaktion des Bewohners oder der Bewohnerin ausfällt.
Insbesondere hellblaue Decken werden oft als angenehm und beruhigend empfunden, vermutlich, weil sie an einen natürlichen blauen Himmel erinnern.
Man kann in solchen Fällen versuchen den Ausgang zu kaschieren. Ein Beispiel dafür wäre, dass man den Farbton der Tür ähnlich dem der Wandfarbe auswählt. Aber auch geringere Beleuchtungsstärken lassen die Tür weniger interessant erscheinen als den Flurbereich. Das Kaschieren mit realistischen Motiven, wie Bücherregalen, Blumenwiesen und ähnlichem mag ich persönlich gar nicht, meine Erfahrungen zeigen, dass Scheinwelten immer wieder verwirren und frustrieren.
Eine weitere hilfreiche Möglichkeit besteht in der Schaffung von Orten, an denen man sich gerne aufhält, sich betätigen kann. Solche Anregungspunkte laden zum Verweilen ein und können den Drang zum Laufen vermindern.
Besonders in großen Supermärkten gibt es oftmals eine regelrechte Reizüberflutung durch Musik, Durchsagen oder bunte Regale, die zu Orientierungsschwierigkeiten führen kann. Signaletik geht da oft unter, es sei denn, die Regalreihen sind breit und von nur einer Erschließungsstraße abgehend, an der jeweils auf Augenhöhe die Beschilderung in Wort und Bild zeigt, was da zu finden ist.
Übrigens könnte es nicht nur Menschen mit Demenz in großen Supermärkten bereits sehr helfen, wenn Produktkategorien immer am gleichen Ort zu finden wären und nicht aus verschiedensten Gründen von Zeit zu Zeit umstrukturiert werden müsste.
Auch wenn diese mittlerweile sehr selten zu finden sind, stellen sogenannte „Tante Emma Läden“ hier eine Alternative dar, in denen der „Kaufmann“ oder die „Kauffrau“ persönlich bedient.
In der eigenen Wohnung ist es zunächst wichtig, dass keine Stolperfallen und Hindernisse (wie am Boden beispielsweise Teppiche, Stromkabel oder im Weg stehende kantige Möbelstücke) das Umhergehen erschweren. In diesem Zusammenhang ist auch eine gute Beleuchtung in den Räumen wichtig. Signaletik kann die Auffindbarkeit von Räumen und Dingen erleichtern, doch anderes wirkt meist intensiver.
Um zur Bewegung zu motivieren, können verschiedene Anregungen helfen. Hier ist individuelles Fingerspitzengefühl gefragt. Man sollte sich fragen: Was interessiert diese Person? Was hat die Person früher gerne gemacht? Bieten Sie „Inseln des Selbst“ an – also Orte, an denen man ankommen kann, sich gerne betätigt, sich sicher fühlt.
Für Tierliebhaber können beispielsweise ein Vogelhaus vor dem Fenster, ein Aquarium oder ein Stall mit Hühnern, die beobachtet und gefüttert werden, Orte sein, an denen man sich gerne betätigt und sicher fühlt. Auch Berichte über Hunde, speziell Assistenzhunde, die den Weg zurückfinden, zeigen Möglichkeiten der tiergestützten Therapie.
Vielleicht sind aber auch andere Themen, wie Schmerzen oder eine Schwerhörigkeit der Grund für den sozialen Rückzug. Wir müssen aufmerksam sein!
Dienstag, 09.03.2021, 11.00-11.45 Uhr
Kristina Holm
Wissenschaftliche Mitarbeiterin M. Sc.Moderation
Anne Keefer
Wissenschaftliche Mitarbeiterin M. Sc.Betreuung Chatroom & Fragen
Hier finden Sie die Links zu den ersten beiden Webinaren mit Frau Dr. Dietz:
Alterssensible Architektur – Planen für alle Sinne
Demenzsensible Architektur – Unterstützende Gestaltung
Hier geht’s zur Webseite des Bayerischen Instituts für alters- und demenzsensible Architektur.
Mit der Webinar-Reihe „Science Watch LIVE“ bieten wir einen zusätzlichen Service zu unserem monatlichen Newsletter digiDEM Bayern Science Watch, in dem wir wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Demenzforschung bereitstellen.
Vor dem Hintergrund massenhaft verbreiteter Halbwahrheiten und Fake News, aktuell zum Beispiel über das neue Corona-Virus, ist gerade jetzt evidenzbasierte Wissenschaft gefragt. Es ist wichtiger denn je, wissenschaftliche Erkenntnisse so zu vermitteln, dass sie für die Gesellschaft verständlich sind und ein Austausch darüber gefördert wird. Dazu möchten wir als digiDEM Bayern-Projektteam beitragen, jetzt auch mit digiDEM Bayern Science Wach LIVE.